Längst finden wir Erkenntnisse über die Welt nicht mehr nur in Bibliotheken. Das Internet bietet schier unbegrenzte Möglichkeiten, Wissen zu sammeln und zu teilen. Wer und wie aber bringt das Wissens ins Netz und wie sollten wir es in Zukunft am besten nutzen?
Erinnert Ihr Euch noch an den Brockhaus? Das war so
ein 26-bändiges Nachschlagewerk, nach Buchstaben geordnetes Wissen über die
ganze Welt. Man nutzte es auch zum Blumenpressen und manchmal schaute man
während des Scrabble-Spielens nach, was der vermeintliche Phantasiebegriff des
Gegners bedeuten könnte. Mag sein, es beschwert noch immer bei Euren Großeltern
oder Eltern die Regale. „Das Verschwinden des Brockhaus war ein
Kollateralschaden“, sagt Jan Engelmann. „Das war nie unsere
Absicht.“
Jan Engelmann ist Bereichsleiter Politik &
Gesellschaft bei Wikimedia Deutschland und versucht, das komplexe Geflecht aus
Urheberrecht, Lizenzen und Community-Förderung zu erklären. 60 Mitarbeiter
zählt der größte deutsche Verein zur Förderung Freien Wissens heute. Das wohl
bekannteste Projekt, welches Wikimedia
unterstützt, ist die freie Online Enzyklopädie Wikipedia. Jenes
revolutionäre Projekt, das den Brockhaus ungewollt beerdigte.
2001 startete Wikipedia von San Francisco aus, ohne
dass jemand ahnen konnte, wie sehr diese Webseite eines Tages
selbstverständlicher Teil unserer täglichen Recherchen im Netz werden würde. Mittlerweile stehen dort über 20
Millionen Artikel in über 280 Sprachen zur Verfügung und bislang sind dem
Wachstum der Plattform kaum (rechtliche) Grenzen gesetzt. Grundlage dafür ist
die sogenannte Creative Common Licence (CC-Lizenz) - eine allgemein anwendbare
Lizenz, die in verschiedenen Ausführungen existiert - und deren Ziel es ist,
freie Inhalte zu generieren und zu verbreiten. Im Gegensatz zu einer „normalen“
Lizenz, die gegen eine Gebühr Nutzungsrechte überträgt, zielt sie auf die
kostenlose Verbreitung und Bearbeitung von Inhalten durch jedermann. Die CCs
sind der Treibstoff des großen Wiki-Motors, der seit 10 Jahren immer schneller
und effizienter läuft. Sie markieren den Unterschied zu anderen virtuellen
Wissensportalen, wie wissen.de oder britannica.com, die teils kostenpflichtig,
vor allem aber vor kommerzieller Nachnutzung geschützt sind.
„Experten
des Alltags“
Wikimedia
Deutschland unterstützt die freiwilligen Mitarbeiter der Online Enzyklopädie,
zum Beispiel mit Fotoausrüstung, Recherchetipps oder bei Fragen zum
Urheberrecht. Der Verein organisiert Informationsveranstaltungen und
koordiniert die Öffentlichkeitsarbeit der diversen Plattformen, die das
Wiki-Universum heute umfasst. Für Jan Engelmann sind die aber tausenden
Schreiber der Enzyklopädie „Experten des Alltags“. „Es gibt Leute, die das für
den Untergang des Abendlandes halten, dass da Laien Wissen zusammen tragen.“
Doch er glaubt, dass geteiltes Wissen sich nie verringern, sondern immer nur
vergrößern wird. Das unterscheide dieses „Gut“ von „anderen“, denn es gelte die
alte Weisheit: „Viele Augen sehen mehr“. Deswegen setzt sich Engelmann dafür
ein, das Prinzip des freien Zugangs zu Wissen weiter in der Gesellschaft zu
verbreiten. Im besten Fall verbessert die Rückkoppelung mit dem Nutzer die
Qualität der Inhalte, statt sie zu schmälern.
„Ein
Beispiel dafür war im Jahr 2009 unsere Kooperation mit dem deutschen
Bundesarchiv. Dort gibt es einen unermesslichen Fotobestand, vor allem Bilder
aus der Weimarer Republik und der DDR. Wir bekamen knapp unter 100.000 Bilder
zum Upload unter einer freien Creative-Commons-Lizenz zur Verfügung gestellt.
Unsere Ehrenamtlichen prüften tausende Bildunterschriften, zum Beispiel
Gebäudebezeichnungen. Es war erstaunlich, wie viele Fehler bei der Archivierung
korrigiert werden konnten.“
Wissenschaftsbetrieb
in Gefahr?
Doch die
Tendenz, mehr und mehr Wissen ins Netz einzuspeisen, stößt auch auf Kritik,
besonders von Seiten der Wissenschaftsverlage, die um ihren Umsatz fürchten
müssen. Traditionell werden Forschungsergebnisse in Zeitschriften
veröffentlicht, die Bibliotheken ankaufen. Für Jan Engelmann ist dieses System
eine doppelte Finanzierung des Steuerzahlers, der zunächst die Einrichtungen
finanziert, an der Forschungsergebnisse zu Stande kommen, um anschließend dafür
zu zahlen, dass diese wiederum von den Universitäten angeschafft werden müssen.
Diese Kritik teilt er mit der Open Access-Bewegung, deren Ziel es ist,
wissenschaftliche Publikationen frei zugänglich zu machen.
Wenngleich
viele Forschungseinrichtungen sich der Open Access-Idee mehr und mehr öffnen,
mahnen sie internationale Begutachtungsstandards und die Gefahren an, wenn
Nutzungsrechte verloren gehen. Fest steht: Die inhaltliche Qualität solcher
frei zugänglichen, wissenschaftlichen Veröffentlichungen muss gewährleistet
sein, damit die Open Access-Bewegung auch in Zukunft ihre Legitimität begründen
können wird. Und so wenig wie wir noch vor 10 Jahren den Boom frei zugänglicher
Inhalte im Netz voraussehen konnten, so wenig ist heute absehbar, wie sich das
Wissen im Web vermehren und verteilen wird. Irgendwann aber werden wir schlauer
sein...
Autorin: Romy Strassenburg
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